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Popkultur

40 Jahre „From Her To Eternity“: Nick Caves erste schwarze Predigt

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Nick Cave
Foto: Frans Schellekens/Redferns/Getty Images

Morastig, düster, leiernd, dissonant und oftmals wie aus weiter Ferne zu uns predigend: Vor 40 Jahren debütieren Nick Cave & The Bad Seeds mit dem morbiden Mantra From Her To Eternity.

von Björn Springorum

Tod und Teufel, Spiritualität und düstere Americana-Mären, Sünde und Verdammnis, Obsession und Rausch, das Alte Testament in seiner ganzen schrecklichen Gestalt eines alten Wanderpriesters sind seit jeher im Schaffen von Nick Cave verankert. Über die Jahre wurde aus dem Post-Punk-Anarchisten mit Hang zu metallenem Lärm ein eleganter Sektenführer, den zu berühren bei Konzerten der einzige Anwesenheitsgrund für viele seiner Jüngerinnen und Jünger zu sein scheint.

Unschöne neue Welt

Nick Cave war aber nicht immer der beseelte Priester, der er in den letzten Jahren geworden ist. Der salbungsvolle Guru, dessen Ruppigkeit durch Trauer und Verlust abgerundet, sanfter wurde. Zu Beginn der Achtziger lernen wir einen Nick Cave als getriebenes, wildes Tier kennen. Er ist ein kompromissloser und radikaler Künstler, der nach neuen Ausdrucksformen poetischen Lärms sucht. Das kanalisiert er erst im ruppigen, wüsten Post-Punk von The Birthday Party, ab 1983 dann in seiner neuen Band Nick Cave & The Bad Seeds, benannt nach der letzten EP seiner Vorgängerband.

Mit der will der Australier andere Wege einschlagen. Zunächst mal rein geografisch: Er siedelt von Melbourne nach London über, sichert sich die Dienste von Einstürzende-Neubauten-Klangarchitekt Blixa Bargeld. Und entwirft eine unschöne neue Welt. Die ersten Songs, die entstehen, atmen noch die rostigen Odem von The Birthday Party, sind schroff, avantgardistisch, kakophon, gotisch-düster und bewusst unmelodisch. Mit Produzent Flood entstehen schon 1983 erste Studien und Skizzen, das Label Mute sichert sich die Band. Den offiziell ersten Auftritt von Nick Cave & The Bad Seeds gibt es am 31. Dezember 1983 in seiner Heimat Australien.

Schreckensbilder des Alten Testaments

Cave sagte später über den Neuanfang mit den Bad Seeds: „Wir haben den Leuten nicht mehr die Zähne eingeschlagen. Ich meine, es wurde einfach anders. Ich wollte, dass es lyrischer wird, und Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten in die Gruppe zu holen, machte einen unglaublichen Unterschied. Er ist ein absolut atmosphärischer Gitarrist und unglaublich sparsam, und das gab mir Raum zum Atmen.“ Von der heutigen Inkarnation der Bad Seeds ist das damalige Line-Up noch weit entfernt: Nick Cave wird die einzige Konstante bleiben.

Lyrisch weiß er schon vor 40 Jahren sehr genau, was er will: Er ist fasziniert von den Schreckensbildern des Alten Testaments und von dessen Einfluss auf Musik und Kunst, zeichnet Bilder von ewiger Verdammnis, vom buckligen Wanderpriester, der durch die Weiten des Mittleren Westens zieht, auf der Suche nach neuen Seelen. Und er besingt den Teufel, natürlich den Teufel, in all seinen trickreichen Gestalten.

Der Wahrsager des Rock’n’Roll

Wo die nächsten Platten deutlich tiefer durch Americana, Southern Gothic, Delta Blues und Outlaw Country waten, konzentriert sich Nick Cave auf From Her To Eternity auf geisterhafte Aura und verzerrte Phantasmagorien. Viszeral ist das, sehr sogar, weniger dröhnend als The Birthday Party, dafür eher dräuend – und in seinen eruptiven Ausbrüchen dann umso heftiger. Pitchfork bringt das so auf den Punkt: „Als ob uns ein Wahrsager mit schelmischem Grinsen und einer Hand, die nach der Brieftasche schnappt, die Zukunft der Menschheit aus der Hand liest.“ Hier wird das Fundament des großen Murder-Ballad-Predigers gelegt, der uns ab den Neunzigern begegnet.

Berauscht und zerfressen vom Heroin, seiner damals einzigen konstanten Muse, inszeniert sich Nick Cave hier als Nachfolger all der legendärer Antihelden der Popkultur – Cohen, Waits, Judas. From Her To Eternity ist hinterhältig, mörderisch, doppelbödig, albtraumhaft, vor allem aber eines: ein visionäres Manifest für die grenzenlosen Möglichkeiten der Rockmusik, ein Exempel boshafter Genialität, geboren aus Rausch, Mythos und Getriebenheit.

Bald darauf zieht Nick Cave nach Deutschland. Und lässt sich vom Berliner Untergrund verschlingen.

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