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Popkultur

60 Jahre „As Tears Go By“: Jaggers Liebesbrief an Marianne Faithfull

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Jagger Faithfull
AFP/ GettyImages

Vor 60 Jahren macht As Tears Go By die unbekannte Marianne Faithfull über Nacht zum Star. Die Nummer stammt von Mick Jagger, für den sie wenig später auch ihren Mann verlässt. Damals weiß sie noch nicht, dass er sie ins Unglück stürzen wird.

von Björn Springorum

Das London von 1964 muss man sich als eine Stadt im Umbruch vorstellen. Da gibt es auf der einen Seite das konservative London mit Tea Time, Gottesdienst und einer großen Liebe für die junge Queen Elizabeth. Auf der anderen Seite brodelt es. Die Gegenkultur erwacht, Bands wie die Beatles, The Who oder The Rolling Stones bereiten den großen Umsturz der Machtverhältnisse vor. Noch swingt nicht alles in London – aber es beginnt.

Entdeckt vom Manager der Stones

Mittendrin: Marianne Faithfull. Eine damals 17-Jährige mit adeliger Vergangenheit, die schon eine schwere Tuberkulose-Erkrankung hinter sich gebracht hat, Theater spielt und in Cafés Folkmusik spielt. Wie das so ist damals in London, führt so gut wie kein Weg an den Beatles und den Stones vorbei. Im Jahr zuvor haben die Beatles gerade Manager Andrew Loog Oldham auf die Stones angesetzt, um deren Karriere endlich mal ähnlich ins Laufen zu bringen wie die ihre. Er bringt die Band zu Top Of The Pops (noch vor den Beatles, wohlgemerkt) und richtet in London eine große Launch-Party anlässlich ihres Debüts The Rolling Stones aus. Damals passiert vieles und alles gleichzeitig in London, weshalb auch bei dieser Party alles zusammenkommt, was hip, jung und schön ist.

Marianne Faithfull ist alles. Sie besucht die Party mit John Dunbar, ihrem späteren Ehemann, und lernt Andrew Loog Oldham kennen. Der sieht das Potential der blonden Sängerin und setzt seine Schützlinge Mick Jagger und Keith Richards auf sie an. Sie sollen einen Song für sie schreiben, haben dabei aber ein Problem: Wirkliche Hits haben die beiden noch nicht komponiert. Der Legende nach sperrt Oldham die beiden also in eine Küche und zwingt sie, gemeinsam einen Song zu schreiben. „Ich will einen Song mit Backsteinmauern drumherum, hohen Fenstern und ohne Sex“, soll er gesagt haben. Das Ergebnis heißt zunächst As Time Goes By, der Titel des Songs, den Dooley Wilsons im Film Casablanca singt. Es war Oldham, der Time durch Tears ersetzt.

„Was für ein schrecklicher Quatsch“

Die beiden Stones selbst halten nicht viel von der Ballade: „Wir dachten, was für ein schrecklicher Quatsch. Wir kamen raus und spielten es Andrew vor, und er sagte: ‚Das ist ein Hit.‘ Wir verkauften das Zeug tatsächlich, und es brachte tatsächlich Geld ein. Mick und ich dachten, das ist ja ein Kinderspiel.“ Überwiegend wird der Song Jagger zugeschrieben, obwohl er selbst sagt, dass die Melodie auch von Richards stammt. Ist aber auch völlig egal: Der melancholische Song mit der prägnanten Oboe wird zum Hit und macht Marianne Faithfull praktisch über Nacht berühmt. Ein Jahr später bringen die Stones ihre Version der Nummer raus. Und feiern ebenfalls große Erfolge damit.

Bis heute ist allerdings unklar, ob der Song ursprünglich wirklich für sie geschrieben wurde oder eben einfach gut zu ihr passte. Manche sagen so, manche so. Fest steht aber: Obwohl er Faithfulls Karriere startet, ist die Sängerin nie so richtig mit dem Stück warmgeworden. „Ich war nie so verrückt danach“, gab sie mal zu. „Gott weiß, wie Mick und Keith es geschrieben haben oder woher es kam… auf jeden Fall ist es absolut erstaunlich, dass ein Junge von 20 Jahren einen Song über eine Frau geschrieben hat, die nostalgisch auf ihr Leben zurückblickt.“

„Die Stones waren nicht mehr als Schuljungs“

Sei’s drum. Ihre Karriere läuft. Sie heiratet John Dunbar, bekommt Sohn Nicholas mit ihm. Doch dann beginnt London so richtig zu swingen. Und Marianne Faithfull merkt, dass sie rastlos wird. 1966 zieht sie mit ihrem Sohn zu Brian Jones und Anita Pallenberg nach London, entdeckt das Kiffen für sich und fängt was mit Mick Jagger an. Den hatte sie schon länger im Auge, soll sogar mehrfach gesagt haben, dass sie eines Tages mit ihm zusammen sein wird. Jagger ist ihr da längst hoffnungslos verfallen. Er tut alles, um sie rumzukriegen, doch Faithfull wollte davon anfangs nichts wissen. „Ich habe mich einen Scheiß für Mick interessiert damals, die Stones waren nicht mehr als Schuljungs“, sagte sie 2002 im Stern.

Irgendwann ändert sich das. Die beiden beginnen eine Affäre – obwohl sie Richards eigentlich immer interessanter fand als Jagger. Dennoch verlässt sie ihren Mann für Jagger (und manchmal wohl auch für Richards, wie man vermuten darf) und taucht tief ein in das Swinging London der späten Sechziger. Als Musikerin wird sie noch Jahrzehnte später Akzente setzen. Die meisten werden sie dennoch am ehesten als Muse von Jagger kennen. Als Einfluss für Sympathy For The Devil, Let’s Spend The Night Together, Wild Horses oder, besonders tragisch, Sister Morphine.

Das Märchen vom Mars Bar Girl

Um letztgenannten Songs werden sich die Stones und Faithfull später sogar vor Gericht streiten. Er erscheint 1969, als sie gerade eine ausgewachsene Heroinsucht kultiviert und auf der Straße lebt. Die Royalties für den Song würden sie retten, doch sie sieht zunächst keinen Penny davon, weil sie anfangs nicht in den Credits genannt wird. Erst später ist sie als Co-Schreiberin gelistet. Da ist der Traum eh längst geplatzt, da sind die Swinging Sixties eh längst zum Albtraum geworden für sie: Als die Polizei 1967 Richards’ Landhaus Redlands in Sussex stürmt, werden Richards und Jagger festgenommen. Faithfull trifft es härter. Sie geht in die Geschichte ein als das Mars Bar Girl. Jeder glaubt die offensichtlich erfundene Geschichte, dass Jagger gerade einen Marsriegel aus ihrer Vagina aß, als die Cops das Haus betreten.

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