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Popkultur

Hymnen für alle: Grönemeyers „4630 Bochum“ wird 40 – das kann die Neuauflage

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Herbert Grönemeyer
Foto: Victor Pattyn

Vor 40 Jahren veröffentlichte Herbert Grönemeyer sein Album 4630 Bochum – und wurde zum Megastar. Nun erscheint das Album in überarbeiteter Version und mit besonderen Neuaufnahmen, die Grönemeyer in alle Richtungen streuen lässt.

von Markus Brandstetter

Man muss bei der Neubearbeitung gegenüber großen Songs nicht in Ehrfurcht erstarren und diese in kreuzbraver Detailtreue rekonstruieren – weder die eigenen noch die Stücke anderer Künstlerinnen und Künstler. Das zeigt Herbert Grönemeyer auf jenen fünf Stücken der 40-Jahre-Edition seines Klassikers 4630 Bochum. Denn gemeinsam mit fünf jungen Acts eröffnet der 68-Jährige den Jubiläumsreigen mit neu gedachten Versionen von Klassikern, die sich – mal mehr, mal weniger – auch ein ganzes Stück von den Originalen entfernen. Musikalisch, aber auch strukturell und textlich.

Flugzeuge im Bauch und mehr

Bei Flugzeuge im Bauch lassen CÈLINE und Grönemeyer die große Ballade nur noch in ihren Grundgerüsten stehen, drehen das Fundament aber gleich von Anfang an von Dur auf Moll. Bei den Strophen, die die Sängerin aus Paderborn übernimmt, bleibt dann kein Stein auf dem anderen, und das sowohl stilistisch als auch textlich. Synthflächen, R&B-artige Beats und ein Text, der aus dem generationsübergreifenden Herzschmerz des Originals ein noch um einiges dramatischeres Klagelied macht.


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Anschließend bringt die Künstlerin Dilla mit treibenden Beats und monotonem, roboterhaftem Gesang das Stück Männer in die Clubs. Die Harmonien des Chorus bleiben die gleichen, der Sound ist aber erneut ein ganz anderer. Wie die Straßen des Feierns 2024 klingen, zeigen Chapo102, Bausa und Grönemeyer mit der Neuversion von Alkohol, die sich in den Strophen sehr, sehr weit weg vom Original entfernt. Auch der Rausch und der darauffolgende Kater ändern sich eben mit der Zeit.

Harmonisch versöhnlicher wird’s bei Mambo, das Grönemeyer Jeremias überlässt. Der macht daraus eine atmosphärische, extrem geschäftige Hochglanz-Popnummer – und teilt sich das Mikro mit Grönemeyer. Als Abschluss singen LEA und Grönemeyer das Stück Für dich da im Duett – und lassen es als Ballade mit viel Hall dastehen.

Zurück zum Original

Und dann geht es auch schon zum Originalalbum – in neuem, überarbeitetem Klang. Die synthetischen Orgelflächen, die Grönemeyers Ode auf Bochum einleiten, sind beinahe sakral, definitiv in den 1980er-Jahren zu verorten, genau wie auch die im Chorus auftauchenden Fanfarenklänge. „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt / Ist es besser, viel besser, als man glaubt“, steckt Grönemeyer die Kartographie ab und setzt zu einer Hommage an, die in seiner Liebe und Zuneigung beinahe mit Shakespeares bekannten Sonnet 130 verwandt ist, in dem er die Makel seiner Liebe aufzählt. Beim merry ol’ William hieß das damals so: „My mistress’ eyes are nothing like the sun / Coral is far more red than her lips’ red / If snow be white, why then her breasts are dun / If hairs be wires, black wires grow on her head“.

Grönemeyers Mistress heißt hier Bochum, jene Stadt, in die der gebürtige Göttinger im Alter von einem Jahr kam und aufwuchs. Es ist nicht die City of Dreams und auch nicht die City of Angels, daran lässt er keinen Zweifel. „Du bist keine Schönheit / Vor Arbeit ganz grau / Liebst dich ohne Schminke / Bist ’ne ehrliche Haut, leider total verbaut / Aber grade das macht dich aus“, heißt es darin. Eine Liebeserklärung mit einem gehörigen Schuss Realismus, der auch den Bochumern passend genug vorkam, das Lied zur inoffiziellen Hymne der Stadt und als inoffizielle Stadionhymne des VfL Bochum zu akzeptieren.

Der Durchbruch gelingt

Bochum ist der Eröffnungstrack des Albums 4630 Bochum. Es war Grönemeyers viertes Studioalbum, bislang hatte sich der große Erfolg für den Sänger und Songwriter mit der unverkennbarsten deutschen Sprachmelodie und Singstimme seit Udo Lindenberg noch nicht eingestellt. Der im Jahr davor erschienene Longplayer Gemischte Gefühle hatte es immerhin auf Platz 43 der deutschen Albumcharts geschafft, aber Ruhm sah noch anders aus. Mit 4630 Bochum sollte sich das ändern. Aber wie.

Das hatte auch mit dem zweiten Song der Platte zu tun, dem Stück Männer. Hier nimmt Grönemeyer mit Augenzwinkern Klischees unter die Lupe und verdreht sie ein wenig. „Männer nehm’n in den Arm / Männer geben Geborgenheit / Männer weinen heimlich / Männer brauchen viel Zärtlichkeit / Oh, Männer sind so verletzlich / Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich“, singt er, und im Chorus dann die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“

Es geht Schlag auf Schlag. Dann wird’s Zeit für eine herzzerreißende Ballade. Die Rede ist natürlich von Flugzeuge im Bauch, Grönemeyers Überballade, universal und für alle da, universal verständlich. Stoff fürs Feuerzeugschwingen im Stadion und für die Kuschelrock-CD für der Heimstereoanlage. Auf den Liebeskater von Flugzeuge im Bauch folgt der tatsächliche Kater. In Alkohol geht’s dem Protagonisten nicht gut, das Ethanol ist schuld. Wieder so ein Klassiker, diesmal zu einem stoischen Beat und E-Gitarren. Bei Amerika wird’s politisch, Grönemeyer zollt aus der deutschen Sicht der 1980er-Jahre der Weltmacht zwar Tribut, kritisiert aber auch deutlich. „Oh Amerika / Dann prügel, wenn du dich prügeln mußt / In deinem eigenen Land / Du willst in allem besser sein / Größer, schneller, weiter, Amerika / Ich habe Angst vor deiner Phantasie“, heißt es darin unter anderem.

„Unser Herbert“

Zehn Songs sind auf 4630 Bochum enthalten, den Abschluss macht Mambo. Der Longplayer machte Grönemeyer zum deutschen Superstar, zum Stadion-Act, zu „unserem Herbert“. Das hat auch seinen guten Grund: Wie schon erwähnt, erfand Grönemeyer seine ganz eigene Stimme, seine Sprachmelodie. Die gefällt definitiv nicht jedem und polarisiert möglicherweise, ist aber zutiefst originell und einzigartig. Grönemeyer zeigt hier einen ganz eigenen Umgang mit der deutschen Sprache in der Popmusik, ein eigenes Selbstverständnis, was deutsche Popmusik sein kann. Das lässt sich mit der 40-Jahre-Edition wunderbar feiern. Abenteuerlustige Grönemeyer-Fans werden die Neubearbeitungen zu schätzen wissen, wer sich dann doch lieber den liebgewonnenen Originalen widmen möchte, kann das im zeitgemäßen, remasterten Klang tun.

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