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Popkultur

„Songwriter“: Wenn Johnny Cash Rick Rubin nie getroffen hätte

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Johnny Cash
Foto: Alan Messer

Was wäre passiert, wenn Johnny Cash Rick Rubin nie getroffen hätte und gemeinsam mit ihm und der American-Recordings-Reihe in seinem Lebenswinter keinen letzten, riesengroßen Karrierehöhepunkt erlebt hätte? Songwriter, jenes posthum erschienene Album des großen US-amerikanischen Sängers und Songschreibers, gibt nun eine mögliche Antwort.

von Markus Brandstetter

Bei Songwriter handelt es sich um das Material, an dem Cash gearbeitet hatte, kurz bevor er Rick Rubin traf. Es war eine Zeit, in der Johnny Cash in einem popkulturellen Vakuum zu verschwinden drohte. Der „Man in Black“ war zu diesem Zeitpunkt natürlich bereits längst eine Legende, aber in den Augen vieler (unter anderem in dem der Plattenfirmen) eher eine aus bygone days.

Cash wollte und musste noch einmal ansetzen, seinen Platz in der Geschichte einmal mehr beanspruchen und einzementieren. Er schrieb eine Menge Songs und nahm sie in Nashville auf. Alles sah nach einem neuen Album mit Eigenkompositionen aus – und dann wurde doch alles über den Haufen geworfen. Eben, weil Cash kurz nach Vollendung der Sessions zu dem, was nun als Songwriter erscheint, auf Rubin traf. Wie das ausging, wissen wir: American Recordings, Hurt, reduzierte, spärliche Arrangements – und ein großes, schweres, famoses, würdiges Finale für Johnny Cash.

This is planet earth calling

Viele Jahrzehnte später aber fand sein Sohn John Carter Cash diese Aufnahmen wieder und beschloss, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings nicht in der originalen Form – der Sound, die Arrangements waren ihm nicht zeitlos und zugleich zeitgemäß genug. Es galt, die originalen Spuren, zum Teil mit alten Weggefährten aus dem Cash-Kosmos, neu einzuspielen, einzig Cashs Gesangsaufnahmen sollten bestehen bleiben.

Wenige Sekunden nach den einleitenden Akkorden ist sie auch wieder da, diese alte, vertraute, beinahe biblisch klingende Stimme. „Hello out there, this is planet earth calling“, singt Cash, beim Wort „calling“ ertönt Echo – und doch könnte man beinahe meinen, er sänge nicht vom Planet Earth, sondern schicke uns einen Gruß aus dem Big Beyond. Zwei Songs, die nun auf Songwriter zu hören sind, verwendeten Cash und Rubin bereits für die American-Recordings-Aufnahmen: Drive On und Like a Soldier.


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Songwriter, soviel wird schnell klar, ist vom Klangbild ganz anders angelegt als die Arbeiten mit Rubin. Während dieser auf Spärlichkeit setzte, hört man hier Klangschichtungen, Flächen, atmosphärische Sounds, die die Songs umgarnen. Und, der Titel verrät es bereits: Während Cashs Spätwerk zum überwiegenden Teil auf Fremdkompositionen aufbaute, stellt dieses Album Cash als Songwriter in den Vordergrund. Thematisch ist Songwriter durchwachsen: diese famos dringlichen, apokalyptisch anmutenden Stücke in Schwarz sind eher auf den späteren Rubin-Alben zu finden.

Nostalgie und Doodle, doodle, doo, doodle, doo, doo, doo

Klar, ein wenig Hoffnung und Dunkelheit gibt es auch hier, aber eben auch viel leichteres, klassisches Country-Material, wie etwa das nostalgische I Love You Tonight. „It sure has been a party, hasn’t it, baby? We’ve really been down that road a time or two / We checked into the best hotels from San Francisco to Paris / And lived like royalty, me and you“, singt er, ehe er im Chorus schwärmt: „And I love you tonight / Even more than I loved you in the sixties“. Die Leute, so Cash in dem Stück, fragen ihn andauernd, wann er sich denn endlich zur Ruhe setzen würde – dass er das nicht wollte, zeigt Songwriter deutlich. Witzig auch die Stelle, in der Cash lachend singt „Can you believe we made it through the 80s“. Cash schwärmt von seiner Heimat (Have You Ever Been To Little Rock), singt in Soldier Boy über die Jungs und die Mädels und lässt ein beherztes Doodle, doodle, doo, doodle, doo, doo, doo vom Stapel, erzählt von truckfahrenden, alleinerziehenden Frauen (She Sang ‘Sweet Baby James’).

Elf Songs sind auf Songwriter enthalten – und es ist ein tolles Gefühl, Johnny Cashs Stimme wieder zu hören. Diesen überlebensgroßen Bariton, den Rubin später als großes Finale so grandios in Szene setzen konnte und ihm seinen berechtigten Platz und seine zustehende Relevanz zurückzugeben half. Songwriter ist indes ein grandioses und hörenswertes, wenngleich neu überarbeitetes Zeitdokument, ein Geschenk der Cash-Familie an Hörerinnen und Hörer des Mannes in Schwarz. Dass Cash diese Aufnahmen schlussendlich verwarf und alles auf die American Recording setzte, war dennoch die richtige Entscheidung.

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Zeitsprung: Am 21.8.2003 nimmt Johnny Cash zum allerletzten Mal Musik auf.

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